Florence Pärli, Juristin im Steuerrecht, Stadträtin und Fraktionspräsidentin FDP/jf Stadt Bern, Kandidatin Gemeinderat Stadt Bern erklärt den Vorteil für Frauen an zwei Beispielen:
Die berufliche Vorsorge muss dringend reformiert werden: Zum einen stehen die Renten aufgrund der steigenden Lebenserwartung und tieferen Anlagerenditen unter Druck. Zum andern können sich viele Erwerbstätige – darunter überwiegend Frauen – kein Alterskapital in der 2. Säule ansparen, da sie Teilzeit arbeiten. Am 22. September 2024 stimmt die Schweizer Bevölkerung über einen Reformvorschlag ab, mit dem die Berufsvorsorge zukunfts- und frauentauglicher werden soll.

Luisa und Martina (beide 30-jährig) arbeiten im Inselspital Bern. Luisa ist Reinigungskraft und – da alleinerziehend – in einem 60%-Pensum angestellt. Martina arbeitet in der Pflege, hat keine Kinder und arbeitet 100%.
Wie würde sich die BVG-Reform auf die Renten der beiden Frauen auswirken? Stimmt es, wenn ein Komitee aus Gewerkschaften und Linksparteien behauptet, dass die Vorlage ein «Bschiss» sei, weil Erwerbstätige mehr bezahlen müssten und zum Schluss gar weniger Rente erhielten? Lassen Sie mich Luisa und Martina für die Abstimmung am 22. September 2024 beraten:
Ausgangslage: Unser Vorsorgesystem
Die Schweizer Vorsorge basiert auf drei Säulen: Die 1. Säule (AHV/IV) dient der Existenzsicherung und die 2. Säule soll den gewohnten Lebenstandard auch im Alter oder bei Invalidität erhalten. Mit der 3. Säule kann durch individuelles Sparen die Altersrente verbessert werden.
Die 1. Säule funktioniert durch ein Umlageverfahren: Die aktuell erwerbstätige Bevölkerung finanziert durch Lohnbeiträge bereits berentete Personen.
Die 2. Säule funktioniert im Kapitaldeckungsverfahren: Erwerbstätige und ihre Arbeitgeber zahlen Beiträge an die berufliche Vorsorge. Das so angesparte Kapital wird über Jahrzehnte verzinst. Leistungen der beruflichen Vorsorge erfolgen entweder, indem das angesparte Kapital nach der Pensionierung/bei Invalidität in Form einer Rente ausbezahlt wird. Alternativ ist bei der Pensionierung (und teilweise bei Invalidität) auch ein einmaliger Bezug der Vorsorge in Kapitalform möglich. Verstirbt eine Person vor Erreichen des Pensionsalters, kann ihr Vorsorgeguthaben («Todesfallkapital») teilweise von Angehörigen bezogen werden.
Berechnung der Rente aus der Berufsvorsorge
Die Rente aus der 2. Säule wird durch Multiplikation des angesparten Kapitals mit dem Umwandlungssatz berechnet. Für einen versicherten Lohn zwischen 22 050 und 88 200 Franken (sogenanntes «BVG-Obligatorium») gilt derzeit ein Mindestumwandlungssatz von 6,8%. Die meisten Pensionskassen versichern Löhne über das Obligatorium hinaus. Für Löhne, die dem Überobligatorium unterliegen, gilt kein Mindestumwandlungssatz.
Pensionskassen unter Druck
Wie auch die AHV ist die berufliche Vorsorge derzeit nicht auf die lange Lebensdauer ihrer Versicherten ausgelegt. Es droht, dass – entgegen ihrer Idee – auch in der Säule 2 die gegenwärtig Erwerbstätigen zur Rente der bereits Berenteten beitragen und so ihr eigenes Sparkapital tangiert wird. Zudem haben die Pensionskassen unter anderem wegen des seit langem tiefen Zinsumfelds Mühe, ausreichende Erträge an den Finanzmärkten zu erzielen, um das Sparkapital ihrer Versicherten zu erhöhen.
BVG-Lösung 1. Teil:
Um der Gefahr eines ungerechten und gesetzeswidrigen Verzehrs von Sparguthaben über Generationen hinaus zu begegnen, sollen folgende Massnahmen getroffen werden:
– Der Umwandlungssatz in der obligatorischen Versicherung wird auf 6% gesenkt.
– Im Gegenzug werden die Beitragssätze angepasst: Die jüngeren Erwerbstätigen und ihre Arbeitgeber leisten neu bis zum Alter von 34 höhere Lohnbeiträge als heute (9% bis zum Alter von 45). Für die älteren Erwerbstätigen gelten neu tiefere Beitragssätze (14% bis zum Alter von 65). Dass Arbeitgeber für ältere Arbeitnehmer tiefere Arbeitgeberbeiträge zahlen müssen, hat zudem den Vorteil, dass ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr länger benachteiligt werden.
– Für eine Übergangsgeneration, die nicht ausreichend Zeit hat, wegen der tieferen Beitragssätze ihr Sparguthaben gleichbleibend wie heute zu erhöhen, wird es einen Rentenzuschlag geben.
Wichtig: Die Renten von bereits Pensionierten sind von der Reform nicht betroffen.
BVG-Lösung 2. Teil oder Warum die Vorlage vor allem für Frauen wichtig ist!Derzeit ist nur in der 2. Säule obligatorisch versichert, wer einen Jahreslohn von mindestens 22 050 Franken verdient («Eintrittsschwelle»). Für die Anhäufung von Sparkapital wird vom versicherten Lohn ein sogenannter Koordinationsabzug in Höhe von 7/8 der maximalen AHV-Jahresrente (derzeit 25 725 Franken) abgezogen.
Wer also wenig verdient, kann keine vernünftige berufliche Vorsorge aufbauen. Das betrifft vor allem Teilzeiterwerbstätige. Noch immer arbeiten vor allem Frauen Teilzeit, vorwiegend deshalb, weil sie Betreuungsaufgaben nachgehen.
Mit der Reform der beruflichen Vorsorge wird deshalb einerseits die Eintrittsschwelle – wenn auch leider bloss marginal – auf 19 845 Franken gesenkt. Andererseits, und das ist bedeutend relevanter, beträgt der Koordinationsabzug nicht mehr eine fixe Zahl, sondern neu 20% des Jahreslohns.
Für Luisa und Martina hätte die Reform folgende Auswirkungen:

Abstimmungsempfehlung für Luisa und Martina
Luisa würde durch die Reform eine mehr als doppelt so hohe Rente erhalten und sollte Ja stimmen. Allerdings bleibt ein Problem: Wenn Luisa nebenher für eine Reinigungsfirma arbeitet und dort weniger als die Eintrittsschwelle von 19 845 Franken verdient, ist der Nebenerwerb auch nach der Reform nicht versichert. Mehrfachbeschäftigte können also weiterhin durch die Maschen für das Ansparen einer vernünftigen Altersvorsorge fallen.
Martina erhält auf den ersten Blick trotz höherer Lohnabzüge eine tiefere Rente als vor der Reform. Das Sparkapital im obigen Beispiel ist aber unverzinst gerechnet: Da Martina und das Inselspital früher höhere Sparbeiträge leisten, werden diese auch länger verzinst. Damit wird Martina dank der Reform also mindestens eine gleich hohe Rente erhalten wie heute. Auch Martina kann der Reform also zustimmen.
Abstimmungsempfehlung für alle
Eine Studie zeigt, dass rund 80% der Versicherten dank der Reform mehr Rente erhalten werden, 20% etwas weniger. Vor allem Personen mit tiefen Einkommen profitieren. Kürzungen bei Personen mit hohen Einkommen können durch das Überobligatorium abgefedert werden.
Dank der Reform hätten demnach mehr Erwerbstätige, insbesondere Frauen und Geringverdienende, eine berufliche Vorsorge. Das ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll, da eine ausreichende Vorsorge die Abhängigkeit von staatlichen (über die Steuern finanzierte!) Ergänzungsleistungen verringert.
Es ist bezeichnend, dass sich Kreise, die sich angeblich sozialer Politik verschrieben haben, gegen die Reform stellen. Verantwortungsbewusste erkennen die Notwendigkeit der Anpassung unserer Vorsorge und stimmen am 22. September 2024 Ja zur sinnvollen BVG-Reform.
Dieser Artikel erschien zuerst im Berner Freisinn.
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